30.12.2025

Sprachkompetenz mit schulKI fördern

Mehr Stimme im Unterricht:
Wie KI Schüler:innen zum Sprechen bringt ?️

Viele Lehrkräfte wünschen sich mehr aktive Sprechphasen im Unterricht, stoßen jedoch auf enge Zeitfenster, volle Lehrpläne und unsichere Schüler:innen. Sprechangst, Perfektionsdruck oder die Angst vor Fehlern führen dazu, dass vor allem immer dieselben wenigen Lernenden zu Wort kommen. Die Diskrepanz zwischen dem eigentlichen Sprechbedarf und der realen Sprechzeit ist in vielen Fächern deutlich spürbar.

Digitale Werkzeuge mit Text-to-Speech-Funktionen und einer Sprachaufnahmefunktion im Chat können hier eine strukturelle Entlastung schaffen. Sie ermöglichen Lernenden, in ihrem eigenen Tempo mündlich zu arbeiten, Beiträge aufzuzeichnen, zu überarbeiten und gezielt zu reflektieren. Damit wird KI zu einer Art Übungs- und Reflexionspartner, der Sprachkompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Argumentation und Präsentationskompetenz systematisch unterstützt – unabhängig vom Fach.

Voice-Chat-Alternativen im Unterricht

KI-basierte Voice-Chat-Tools bieten mehr als einfache Audioaufnahmen. Sie:

  • erkennen gesprochene Sprache und setzen sie automatisiert in Text um,
  • können – wenn entsprechend konfiguriert – Gesprächsimpulse geben,
  • liefern Transkripte, die sich für Diagnose, Feedback und Bewertung nutzen lassen.

Didaktisch sinnvoll eingesetzt, eignen sie sich für vorbereitende Übungsphasen, individuelle Fördersequenzen oder selbstständige Lernphasen, in denen Schüler:innen ohne unmittelbare Beobachtung durch die Lehrkraft sprechen und experimentieren können.

Drei Unterrichtsbeispiele aus der Praxis ?

1. Weekly Speaking Journal ?

Ziel: regelmäßige, niedrigschwellige Sprechpraxis und Reflexion.

Sozialform: Einzelarbeit

So kann es aussehen:

  • Zu Beginn der Woche erhalten die Schüler:innen einen kurzen, klaren Impuls, z. B.: „Beschreibe ein Erlebnis der letzten Woche“, „Was hast du in diesem Fach neu gelernt?“ oder „Worauf bist du gerade stolz?“.
  • Die Lernenden sprechen 3–5 Minuten frei über die Sprachaufnahmefunktion im Chat, während ihre Aussagen automatisch transkribiert werden.
  • Wenn Lehrkräfte vertiefende Rückfragen wie „Was hat dich überrascht?“ oder „Was möchtest du nächste Woche verändern?“ einbauen möchten, können sie dafür einen eigenen, speziell konfigurierten Assistenten anlegen, der solche Reflexionsfragen systematisch stellt.

Aus allen Transkripten entsteht nach und nach ein Portfolio der mündlichen Entwicklung. Lehrkräfte können gezielt Auszüge kommentieren, typische Fehlerbilder erkennen oder Fortschritte sichtbar machen. Der Journaling-Charakter fördert Metakognition und Fachsprache zugleich.

2. Spot the Difference ?

Ziel: präzises Beschreiben, Wortschatzarbeit und Beobachtungsgabe.

Sozialform: Partnerarbeit

Ablauf:

  • Die Lernenden arbeiten zunächst einzeln mit Bildpaaren (z. B. geographische Karten, biologische Abbildungen, historische Szenen, Kunstwerke, Alltagsszenen in der Fremdsprache).
  • Jede Person beschreibt „ihr“ Bild mündlich so genau wie möglich, während die Sprachaufnahmefunktion im Chat das Gesagte transkribiert.
  • Anschließend arbeiten die Schüler:innen in Partnerarbeit: Sie erhalten beide Transkripte und versuchen, diese den richtigen Bildern zuzuordnen, ohne die ursprünglichen Bilder direkt zu sehen.
  • Im Plenum werden gelungene Formulierungen, fehlende Details oder unklare Beschreibungen gemeinsam herausgearbeitet.

Die Aufgabe zwingt zu genauer, strukturierter Beschreibung. Transkripte machen sichtbar, wo Fachbegriffe, Präpositionen, Adjektive oder logische Verknüpfungen noch fehlen. Das Format lässt sich flexibel an unterschiedliche Fächer und Niveaus anpassen.

3. Storytelling Chain ?️

Ziel: kreatives Erzählen, Zuhören, Anschlussfähigkeit und Ko-Konstruktion.

Sozialform: Gruppenarbeit (3-5 Schüler:innen pro Gruppe)

Ablauf:

  • Die Lehrkraft gibt einen kurzen Story-Impuls, z. B. einen Bildausschnitt, einen ersten Satz oder eine Fragestellung. Dieser kann für alle Gruppen identisch oder unterschiedlich sein.
  • Schüler:innen fügen innerhalb der Gruppe nacheinander je einen gesprochenen Satz oder eine kurze Passage zum Startsatz hinzu und nutzen dafür die Sprachaufnahmefunktion im Chat; jede Sequenz wird transkribiert und im digitalen Dokument gesammelt.
  • Vor dem eigenen Beitrag lesen die Lernenden den bisherigen Text (oder lassen ihn sich per Text-to-Speech vorlesen), um sinnvoll anzuknüpfen.
  • Anschließend kann der fertige Text sprachlich überarbeitet, nacherzählt oder als Grundlage für eine Präsentation vor anderen Gruppen genutzt werden.

Mündliches Erzählen wird so mit schriftlicher Reflexion verknüpft. Die Klasse erlebt, wie aus vielen Einzelbeiträgen eine gemeinsame Erzählung entsteht, und Lehrkräfte können gezielt auf Kohärenz, Satzbau, Wortschatz oder Erzählperspektive eingehen.

Herausforderungen und realistische Erwartungen ⚖️

Transkriptionen sind nicht fehlerfrei, insbesondere bei Hintergrundgeräuschen, Dialekten oder Fachterminologie. Auch die Bedienung neuer Tools braucht etwas Eingewöhnungszeit. Entscheidend ist, dass Lehrkräfte die Technik didaktisch einbetten: klare Aufgabenstellungen, bekannte Rituale, transparente Kriterien für Feedback.

Wichtig ist zudem, realistische Erwartungen zu formulieren: KI-gestützte Chats mit Sprachaufnahmefunktion erleichtern Diagnose, Übung und Reflexion, nehmen der Lehrkraft aber nicht die professionelle Planung von Aufgabenformaten, Lernzielen und Rückmeldephasen ab.

Fazit: KI als Brücke zur selbstständigen Kommunikationskompetenz ?

Text-to-Speech und die Sprachaufnahmefunktion im Chat sind Bausteine einer Unterrichtskultur, in der mündliche Beiträge nicht nur zufällig entstehen, sondern strukturiert eingeplant, dokumentiert und reflektiert werden. Richtig eingesetzt, senken sie die Hemmschwelle, eröffnen zusätzliche Sprechzeiten und machen Lernentwicklungen sichtbar.

Lehrkräfte aller Fächer können so Lernsettings gestalten, in denen Schüler:innen beim Erklären, Argumentieren und Präsentieren wirklich zu Wort kommen – und ihre Kommunikationskompetenz Schritt für Schritt eigenständig ausbauen.

Vincenz Driesnack